"Mit allen unseren EU-Partnerländern in Osteuropa verbindet uns ein
gemeinsames Ziel. Wir wollen dafür sorgen, dass die Grenzen Europas, die
sich mit der EU-Erweiterung nach Osten verschoben haben, nicht zu
Trennlinien werden. Das ist eine europapolitische Kernaufgabe. (...) Östliche Partnerschaft, gemeinsamer Wirtschaftsraum und Visafreiheit
können unser Verhältnis nicht nur zu Osteuropa, sondern auch zu Russland
auf eine dauerhaft neue Grundlage stellen." (Rede)
Östliche Partnerschaft,
gemeinsamer Wirtschaftsraum, Visafreiheit und die Anbindung Russlands: Kernelemente deutscher Ostpolitik.
Sind jedoch diese Elemente wichtiger Bestandteil außenpolitischer Prioritäten anderer EU-Mitgliedsstaaten und der gesamten Europäischen Union?
Schon bei der Gründung der Östlichen Partnerschaft blieben die großen EU-Länder Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien dem EU-Gipfel in Prag fern. (
Östliche Partnerschaft) Der Georgien-Krieg im August 2008, die Gaslieferprobleme und die Modernisierungspartnerschaft mit Russland, die Haltung zu Problemlösungsansätzen für die Konflikte in Transnistrien, Abchasien, Südossetien und Nagorno-Karabach und viele andere Themen aus dem Bereich "Beziehungen zu den östlichen Nachbarn" sind Argumente für eine skeptischere Haltung vieler EU-Mitgliedsstaaten zu der Ausdehnung der außenpolitischen Präferenzen der Europäischen Union in einem ebenfalls von Russland umworbenen Raum.
Vieles ähnelt einem großen Mietshaus namens "Europäische Union". In diesem Haus wohnen viele Parteien, kennen jedoch den unmittelbaren Nachbarn und seine Netzwerke kaum. Jeder der Mieter gestaltet seine wirtschaftlichen, sozialen und politischen Beziehungen zu anderen Parteien außerhalb des Hauses unabhängig von seinem unmittelbaren Nachbarn im Haus. Alle wohnen unter dem Dach "Europäische Union", viele verhalten sich unterschiedlich.
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Haus "Europäische Union". Autor: Hr. Hrisoskulov |
Eine abgestimmte gemeinsame Außenpolitik gegenüber den östlichen Nachbarstaaten ist mehr denn je von großer Bedeutung für alle Parteien. Was beinhaltet konkret der Vorschlag aus Berlin? Was bedeutet dies für die deutsche Ostpolitik?
Die Nachbarstaaten der Europäischen Union stehen vielleicht vor erneutem
Kurswechsel in Richtung Russland. Am 30. Oktober 2010 bestätigte die
Ukraine die Partei von Wiktor Janukowitsch als Sieger in den
Regionalwahlen. Im Dezember 2010 wählt Belarus einen neuen Präsidenten.
Die Moldau und die Staaten des Südkaukasus Armenien und Aserbaidschan
gehen in eine neue Reihe von Verhandlungen über den Status der
abtrünnigen Provinzen Transnistrien und Nagorno-Karabach. Welche Formate zu welchen Themen benutzt die jetzige politische Elite in Berlin zur Austragung deutscher Außenpolitik?
Soft power in der Ostpolitik: Förderung von Demokratie, Zivilgesellschaft und Wirtschaft
- Im Rahmen der Modernisierungspartnerschaft mit Moskau stellte Guido Westerwelle eine Initiative zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit vor:
"Es geht im Kern um einen
vertieften rechtlichen Austausch zwischen zwei Ländern, die beide dem Raum europäischer Rechtstradition angehören. (...) Diesen Austausch wollen wir intensivieren. Die bereits etablierten Projekte sollen stärker politisch flankiert, besser koordiniert und erweitert werden. (...) Deutschland und Russland könnten jedes Jahr ein
Symposium veranstalten,
an dem Vertreter aller drei Gewalten sowie Wissenschaftler, Rechtsanwälte und Unternehmen teilnehmen. (...) Auch die
gemeinsame deutsch-russische Juristenausbildung sollten wir stärker fördern. (...) Deutschland bietet an, ein
deutsch-russisches Programm zur Förderung der juristischen Forschungszusammenarbeit ins Leben zu rufen, das vor allem der
Spezialisierung des wissenschaftlichen Nachwuchses dient. (...) Ferner bietet sich die laufende
Reform des Zivilrechts in Russland als Thema an. (...) Weitere Rechtsgebiete sind denkbar. Nehmen Sie etwa das
Handels- und Gesellschaftsrecht, oder das
Verbraucherschutz- und Umweltrecht." (
Rede von Außenminister Westerwelle vor der Vereinigung Russischer Juristen, 1. November 2010 in Moskau)
- Die Themen Visafreiheit und gemeinsamer Wirtschaftsraum rücken in den Vordergrund deutscher und zum Teil europäischer Außenpolitik. Das Thema "Erweiterung um die Staaten in der Östlichen Partnerschaft" verliert an mehr und mehr an Bedeutung, denn wichtiger ist zuallererst die Heranführung der Nachbarstaaten an die Europäische Union mit ihren Werten und Normen:
"Es geht hier nicht um die Frage, ob oder wann eines dieser Länder der EU beitritt. Sondern es geht darum, Gesellschaften in unserer unmittelbaren Nachbarschaft auf dem Weg zu mehr
Rechtsstaatlichkeit, zu
besserer Regierungsführung und
wirtschaftlicher Erneuerung zu unterstützen. Das liegt auch im europäischen Interesse." (
Rede)
Diese Position behielten alle EU Außenminister auf ihrer Tagung am
25. und 26. Oktober 2010 in Luxemburg (Rat für Auswärtige Angelegenheiten), auf der unter anderem über die Beziehungen zu den Staaten im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik/
Östlichen Partnerschaft -
Moldau,
Belarus, die
Ukraine und Georgien - wie auch
Usbekistan und über beide Politiken als solche beraten wurde.
- Belarus und die Öffnung nach Westen?
Im Vorfeld der Wahlen in Belarus in Dezember 2010 besuchte der Bundesaußenminister zusammen mit seinem Amtskollegen aus Polen Radoslaw Sikorski Minsk am 2. November 2010. Ein
dualer Dialog steht auf der Agenda: Beide Außenminister treffen nicht nur politische Offiziellen, sondern auch
Oppositionspolitiker und
Repräsentanten der polnischen Minderheit. Zum einen pflegen die EU und Deutschland selektive Beziehungen zu der höherrangigen politischen Ebene. Zum anderen investieren die EU und die Bundesregierung in die Stärkung der Zivilgesellschaft und in vertrauensbildende Maßnahmen unter der belarussischen Bevölkerung und den oppositionellen Staatskräften.
"Wir werden uns nicht in den Wahlkampf einmischen, aber eine klare politische Botschaft überbringen, nämlich dass wir staatliche Repressionen im Vorfeld der Präsidentenwahl mit großer Sorge betrachten. Wir werden auch zum Ausdruck bringen, dass ein transparenter Wahlkampf mit ausreichender Wirkungsmöglichkeit für Parteien und Zivilgesellschaft auch freien Zugang zu den Medien erfordert. (...) Wenn Weißrussland diesen Kurs einschlägt, ist eine weitere Öffnung nach Europa möglich – aber nur dann." (Interview mit der Süddeutschen Zeitung zu seiner Reise nach Russland, Belarus und Litauen, 30. Oktober 2010)
Der Politologe O. Abramov bezeichnet die Visiten beider Politiker in "
Delowaja Gaseta" als "Demoskopie für die Stimmung im Lande vor der Wahl, denn es ist klar, dass heute Alexander Lukaschenko die Richtung des Landes für die nächsten fünf Jahre bestimmt".
- Einbindung der osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten
Es ist kein Zufall, dass der Bundesaußenminister auf seiner Reise auch Litauen und gemeinsam mit Polens Außenminister Radoslaw Sikorski Belarus besucht.
Eine Politik der
Einbindung der östlichen EU-Mitgliedsstaaten tritt stark in Erscheinung. Beim Treffen mit dem Außenminister von Litauen,
Audronius Azubalis, stellen die Beziehungen zu Belarus und Russland ein wichtiges Thema dar. Seit der Gründung der Östlichen Partnerschaft betrachtet
Litauen die geschaffene bi- und multilaterale Plattform als das wichtigste Instrument zur Heranführung der östlichen Nachbarn an die Europäische Union. Unter den Ländern der Partnerschaft stellen
die Beziehungen zu der Ukraine den wichtigsten Vektor litauischer Außenpolitik dar.
Auf seiner Reise behandelte der Bundesaußenminister Themen, die Deutschland auf europäischer und bilateraler Ebene mit den Mitgliedsstaaten abgestimmt hatte. Aber wie sieht es aus, wenn es um Fragen der Sicherheitsstruktur in Europa und der Lösung der regionalen Konflikte in Transnistrien und Nagorno-Karabach geht? Greifen diese Formate ein?
Hard power in der Ostpolitik: Förderung von Sicherheit
Am 18. und 19. Oktober 2010 lud der französische Präsident
Nicolas Sarkozy seine Amtskollegen aus Berlin, die Bundeskanzlerin
Angela Merkel, und Moskau, den russischen Präsidenten
Dmitri Medwedew, im normannischen Seebad
Deauville ein. Wichtige Abstimmungen seien notwendig, denn viele bedeutende Gipfeltreffen stehen bevor:
G20 in Seoul (Südkorea),
NATO-Treffen in Lissabon (Portugal),
OSZE-Konferenz in Astana (Kasachstan).
Die vielleicht wichtigste Abstimmung, gerade zwischen Frankreich und Deutschland, war die Vorstellung über eine neue Sicherheitsarchitektur in Europa und über die Konfliktlösungsansätze in Transnistrien und Nagorno-Karabach.
"Russland ist für Deutschland ein wichtiger strategischer Partner, in
politischen wie in wirtschaftlichen Fragen oder bei der
Energieversorgung. Diese Partnerschaft wollen wir weiter vertiefen. Ich
denke dabei an die Zusammenarbeit bei der Lösung von Konflikten in
unserer gemeinsamen Nachbarschaft oder bei der Abrüstung und
Rüstungskontrolle." (Interview mit der russischen Nachrichtenagentur Itar-Tass anlässlich der Reise von Guido Westerwelle nach Russland)
Nach dem russisch-georgischen Krieg und vor allem nach dem Ausstieg Russlands und Transnistriens aus dem "5+2 Format" zur Lösung des Transnistrien-Konflikts vor vier Jahren hatte die Europäische Union ihre Konfliktlösungspotenziale mehr als vernachlässigt. Bi-oder trilaterale Formate nutzte die Bundesregierung, um diese Themen wieder auf der Agenda der deutsch-russischen Beziehungen zu setzen.
In Deauville schlug Bundeskanzlerin Angela Merkel Russland vor, so
The New York Times, die Gespräche im "5+2 Format" für Transnistrien, zusammen mit Transnistrien, der Ukraine, Moldau, der OSZE, der EU und den USA wieder aufzunehmen. Der Vorschlag ging weiter und sah einen eventuellen Abzug der russischen Truppen aus Transnistrien vor, so dass die Moldau wieder ihre territoriale Souveränität erlangt. Gleichzeitig sollte Transnistrien eine Art Autonomie gewährt werden. Als Gegenleistung bot die Bundeskanzlerin die Gründung eines EU-Russland Komitees für Politik und Sicherheit an. Dieses Komitee sollte als Plattform für die enge Zusammenarbeit zwischen Russland und der EU in Fragen des zivilen und militärischen Krisenmanagements dienen. "
Russian diplomats have made it clear they see such a committee as a chance to influence Europe’s security policy."
Die
Rolle und Bedeutung Rumäniens diskutierten Angela Merkel und Dmitri Medwedew ebenfalls. Die rumänisch-moldauische Grenze und die pro-aktive Visa-, Kultur- und Sprachenpolitik, die Rumänien in seinen Beziehungen zu der Moldau betreibt, bleiben weiterhin strittige Fragen in den Beziehungen zu Russland. Russlands Bedenken sind, dass Rumänien eine wichtige Rolle bei den bevorstehenden Wahlen spielen könnte: Das Land könnte politische Kräfte unterstützen, welche den Lösungsansatz für Transnistrien unterminieren könnten. Auf ihrer Reise in Bulgarien und Rumänien am 11. und 12. Oktober 2010 erwähnte jedoch die Bundeskanzlerin diese Thematik nicht. (
Deutschland und der Osten Europas - Teil 2)
- Die Rolle Russlands in Nagorno-Karabach
Der Einfluss Russlands im Konfliktmanagement um Nagorno-Karabach steigt stetig. Am 27. Oktober 2010 lud der russische Präsident Dmitri Medwedew seine armenischen und aserbaidschanischen Amtskollegen ein und erörterte zusammen die Frage nach Lösungsansätzen im Konflikt in Nagorno-Karabach. Auch wenn keine konkreten Ergebnisse erzielt wurden, “(T)he settlement of the [Karabakh] conflict through political and
diplomatic means requires further efforts on strengthening the ceasefire
regime and confidence-building measures”. (
EURASIANET.Org)
Einen kleinen Erfolg hatte das Treffen: Am 28. Oktober 2010 gab Armenien bekannt, dass das Parlament die geplante Anerkennung von Nagorno-Karabach auf den 9. Dezember 2010 verschob. Es herrschte Einigkeit unter den regierenden und oppositionellen Parteien im armenischen Parlament. Eine einseitige Anerkennung würde die Position Armeniens nicht nur in den bilateralen Gesprächen mit Aserbaidschan, sondern auch in der
Minsker-Gruppe der OSZE deutlich schwächen, so
Kavkaskii Uzel.
Die Europäische Union erkennt die regionale Rolle Russlands in der unmittelbaren Nachbarschaft an und räumt Russland bei der Lösung der Sezessionskonflikte eine große Rolle zu.
Eine gemeinsame europäische Politik gegenüber Russland fehlt jedoch in Bezug auf die regionalen Konflikte im Geltungsbereich der Östlichen Partnerschaft.
Die Russische Föderation nimmt einen immensen militärischen, wirtschaftlichen, sozio-kulturellen, politischen und energiepolitischen Einfluss auf die Nachbarstaaten wie Armenien und Belarus und darüber hinaus Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan ein, sodass eine stärkere z.B. militärische EU-Präsenz in den Konfliktherden der unmittelbaren Nachbarschaft auch unter der Beteiligung Russlands als unmöglich erscheint.
Wenn aber die EU ihren geografischen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Einfluss auf die Nachbarstaaten ausdehnt, beeinträchtigt diese Konstellation auf keinen Fall den russischen Einfluss im Sinne eines Null-Summen-Spiels.
Die nachbarschaftliche Struktur der Beziehungen in den Nachbarstaaten als auch zwischen den Ländern, welche die Europäische Union zu erreichen versucht, aber auch die damit verbundene Mentalitätsveränderung bei den Menschen, liegen im gemeinsamen Sicherheits- und Stabilitätsinteresse Russlands und Deutschlands. Hier geht es darum, die unterschiedlichen Perzeptionen in der EU (in Bezug auf die östliche unmittelbare Nachbarschaft) und in Russland (in Bezug auf das nahe Ausland) auszugleichen und die Länder im GUS-Raum neutral als Länder zu bezeichnen, die sich in einer Region zwischen der EU und Russland befinden, um darüber hinaus zukünftige Konfliktpotenziale zu umgehen und die EU-Russland-Beziehungen auf erfolgreiche politische, wirtschaftliche und soziale Integrationsprojekte aufzubauen.