Deutschland spürt zunehmend die Last seiner Führungsrolle in der Europäischen Union. Die Frage von Wie viel Europa darf es sein?" ist legitim und zeitgemäß. In ihrem Papier stellte die Autorin fest:
"Deutschland muss sich entscheiden, ob es im Alleingang aus der Europäischen Integration herauswachsen möchte, oder - als Hauptdarsteller und Hauptgewinner zugleich - ganz Europa in eine neue globale Rolle im 21. Jahrhundert führen möchte. Die europäischen Partner sollten indes alles tun, um Deutschland diesen Schritt zu einem solidarischen und starken Euro und Europa zu erleichtern!"
- Arbeitsgruppe "Wirtschaftspolitische Steuerung"
Rat der Europäischen Union (Tagung in Brüssel, 28.-29. Oktober 2010). Foto: Photographic service of the Council of the EU © European Communities |
"Deutschland wird in der Welt von morgen nur dann Beachtung finden, wenn wir gemeinsam mit unseren europäischen Partnern in der Union agieren. Deutschland bleibt Motor der Integration."
- Grundsatzrede von Guido Westerwelle
"Deutsche Außenpolitik ist aber nicht statisch. Sie ist immer auch ein Spiegelbild der Welt um uns herum. Die Gewichte auf dem Globus verschieben sich rasant. Heute sind unsere größten Exportmärkte Frankreich, die USA, Großbritannien und die Niederlande. Schon im kommenden Jahr könnte sich China auf Platz zwei schieben. (...) Ich würde mir wünschen, dass ein Land wie Deutschland seine globale Präsenz ausbaut, um den politischen Dialog und die Außenwirtschaftsförderung zu intensivieren." (Grundsatzrede)Vor welchen Herausforderungen sind beide Seiten gestellt? Wer braucht wen und zu welchem Preis?
"The EU needs Germany’s leadership more than ever, but fears its pre-eminence. Europe also needs consensus, but will not get it unless the Germans foster it. Matters will be even worse if Germany’s economic self-confidence comes across as political arrogance." (The Economist)
Ein Neustart der deutsch-europäischen Beziehungen bringe viele Risiken in einer globalisierten und multipolaren Welt mit sich. Deutsche Außenpolitik steht für Kontinuität und jede Abweichung von dieser Maxime würde dem politischen Image des Landes schaden. Ein Neustart bedeutet Wiederbelebung bilateraler (deutsch-französischer oder deutsch-polnischer) Kontakte, die geeignet sind, schneller auf die neuen Herausforderungen zu reagieren.
Die Zersplitterung europäischer Interessen in der Vergangenheit, nämlich die Beteiligung am Irak-Krieg, das Raketenabwehrsystem in Tschechien und Polen, die Blockade einiger osteuropäischer EU-Staaten der Verhandlungen mit Russland, leiten Deutschland in neue Wege um. Die europäische Integration wird nicht mehr als konstant angesehen, sondern als flexibel und dringend veränderbar. Es entsteht ein Europa á la carte, das auf die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Ziele und Perspektiven der einzelnen Mitgliedstaaten und nicht auf die Zusammenarbeit und die Integration in den Gemeinschaftspolitiken ausgerichtet ist."Mrs Merkel and Mr Sarkozy manage to resolve crises as they threaten to spin out of control. But Franco-German ambitions for Europe have sputtered. German standoffishness toward the EU is now based in law: a 2009 ruling by Germany’s Constitutional Court allowed it to ratify the Lisbon treaty but limited further transfers of power to Brussels. Soon the court may weigh in on the euro-zone bail-out." (The Economist)
Beim Neustart stehen jedoch viele Updates zur Verfügung, die installiert werden können.
Germany is becoming more “normal”, meaning more willing to use its strength and to accept responsibilities that go along with it. That looks to America like a good thing. But can Europe afford a more normal Germany?" (Deutschland wächst nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch. Deutsche Politiker nach Helmut Kohl sind mehr selbstbewusst und stehen vor der immer wachsenden Notwendigkeit, den Preis für die europäische Einigung zu rechtfertigen. Im Zuge der Schuldenkrise um Griechenland konnte Angela Merkel nur Mühe und Not die deutschen Ausgaben im Hintergrund von Milliardenausgaben für Rettung der heimischen Wirtschaft (Abwrackprämie, Bankenrettungsfonds, Opel- und Karstadt-Rettung) und des heimischen Arbeitsmarktes (Kurzarbeit) und im Hintergrund von Kürzungen im Sozialetat verantworten.
Es ist nach dem Zweiten Weltkrieg über Jahrzehnte deutsche Tradition gewesen, die kleineren Länder in die Verhandlung einzubeziehen, um eine gemeinsame europäische Meinung zu entwickeln. Das Besondere an der deutschen EU-Diplomatie bestand darin, zu moderieren, zu koordinieren und eine Führungsposition einzunehmen, ohne andere Länder zu übergehen. Dies wurde zu einer Falle im Vorfeld des EU-Gipfels in Brüssel. Viele warfen Deutschland vor, es habe gerade die kleinen Länder übergangen. Aber wie sich nach dem ersten Tag des Gipfels herausstellte, betrieb Deutschland eine angemessene Politik. Deutschland erkannte auch das Potenzial der neuen EU-Mitgliedsstaaten an, also der Visegrad-Staaten, der baltischen Staaten (Estlands) und der neuen EU-Mitglieder Rumänien und Bulgarien.
"Die 25 Telefonate, die die Kanzlerin in den vergangenen Tagen mit ihren EU-Partnern geführt hatte, zeigten offensichtlich Wirkung." (Spiegel Online)
Für Deutschland könnte dies eine große Chance sein, die schwierigen Interessenkonstellationen nach der Osterweiterung auszugleichen. Denn eine europäisierte deutsche Außenpolitik hängt davon ab, wie Deutschland mit seinen neuen und alten Partnern gerade im Osten Europas und neuen Problemen wie der politische und wirtschaftliche Ungang mit aufstrebenden Mächten wie China, Russland, Indien und Brasilien unter veränderten internationalen Vorzeichen (Stichwort Handelsprotektionismus, Wechselkursspekulationen, Rohstoffknappheit) umgehen wird.
- Europäischen Auswärtigen Dienst oder in der Europäischen Zentralbank (EZB) und ...
- Anerkennung der deutschen Führung sind zwei Beispiele für ...
"Was die neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Union anbelangt, so haben wir zwei Befunde. Der eine heißt für mich ganz klar, dass wir von der EU-Osterweiterung profitiert haben. Viele sehen das heute noch nicht ausreichend ein. Aber für die deutsche Wirtschaft und für den Wohlstand in Deutschland war es von außerordentlichem Vorteil, dass es diese Erweiterung um die neuen Mitgliedstaaten gab. Wir haben gleichwohl noch viel Luft nach oben, was die Entwicklung von Wirtschaftsbeziehungen anbelangt. So empfinde ich es jedenfalls im Hinblick unter anderem auf Bulgarien und Rumänien. Allerdings müssen wir auch dort immer wieder darauf hinweisen, dass transparente und verlässliche rechtliche Rahmenbedingungen das A und O für eine vernünftige Kooperation sind." (Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich der Jahresmitgliederversammlung 2010 des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft am 14. Oktober 2010 in Berlin)
- eine gemeinsame Zukunft!
Eine gemeinsame Zukunft der Europäischen Union hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn sich Deutschland zu seinen europäischen Wurzeln (wieder)besinnt. Und die politische Unterstützung von seinen europäischen Partnern und den europäischen Institutionen ist mehr denn je gefragt. Es handelt sich hier nicht um ein verwöhntes Kind, das Aufmerksamkeit von allen Seiten benötigt. Es handelt sich um einen Brückenbauer, der dringend nach Projektanten, Ingenieuren, Arbeitern und Auszubildenden in einem gleichwertigen Projekt sucht, die Europäische Union ins 21. Jahrhundert zu führen. Denn Deutschland scheut nicht vor der Zukunft einer multipolaren Welt, in der mehr Verantwortung aller Beteiligten abverlangt wird.