Oktober 27, 2010

Implikationen für die Partnerstaaten im Osten 1.1: Die Ukraine

Am 26. Oktober 2010 traf Catherine Ashton, Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen-und Sicherheitspolitik, mit dem ukrainischen Außenminister Kostyantyn Gryshchenko in Brüssel im Rahmen des EU-Ukraine Politischen Dialogs auf Ministerebene im Kooperationsrat (Art. 7 des Patnerschafts- und Kooperationsabkommens, das im März 1998 in Kraft getreten ist) zusammen.

Catherine Ashton und Kostyantyn Gryshchenko in Brüssel. Foto: Photographic service of the Council of the EU © European Communities
Welche Schlussfolgerungen zog die Hohe Vertreterin vom Treffen mit dem ukrainischen Außenminister? Zum einen machte Catherine Ashton einige Zugeständnisse an die Ukraine, zum anderen äußerte sie weiterhin Bedenken über den Demokratisierungsprozess des Landes am Schwarzen Meer.

Zugeständnisse ...
  • Catherine Ashton betonte eindeutig, dass die Ukraine ein europäischer Staat ist. Diese Tatsache eröffnet der Ukraine die Möglichkeit, nach Artikel 49 des Vertrags über die Europäische Union die EU-Mitgliedschaft zu beantragen. Die offene Frage ist, ob die Ukraine wirklich eine Mitgliedschaft in die EU anstrebt?
  • Fortsetzung der Verhandlungen über das Assoziierungsabkommen, das zwei wichtige Komponenten beinhaltet:
  1. vertieftes Freihandelsabkommen: Die Schaffung eines Freihandelsabkommens mit der Ukraine geht auf den Vorschlag des Rates der Europäischen Union vom 18. Februar 2008 zurück. Das Ergebnis wäre eine Ausweitung des Rahmens der Europäischen Nachbarschaftspolitik um Bestimmungen über Integration in den Europäischen Binnenmarkt. Eine derartige Bindung setzt jedoch (konditionale Wirkung) die Steigerung der Eigenverantwortung und die Artikulation vom politischen Willen der Akteure in der Ukraine voraus.
  2. Liberalisierung des Visaregimes: Die Vertiefung der Beziehungen mit den Nachbarstaaten und vor allem mit der Ukraine fand Resonanz in dem 2008 ausgehandelten EU-Ukraine Aktionsplan für Freiheit, Sicherheit und Justiz. Der Aktionsplan hat zum Ziel, die EU-Ukraine Partnerschaft bei Asyl, Migration und organisierter Kriminalität zu vertiefen. Zu diesem Zweck fordert die EU die Ukraine auf, eine effektive Kooperation mit EU-Institutionen und –Agenturen zu betreiben, die Legislative an die EU-Standards anzugleichen und Verpflichtungen für den Raum der Sicherheit und Stabilität an der neuen Grenze zu übernehmen.
... und Bedenken

Schon im Vorfeld des Ministertreffens äußerten Catherine Ashton und Štefan Füle, EU Kommissar für Erweiterung und Europäische Nachbarschaftspolitik, vor dem Europäischen Parlament ihre Bedenken in Bezug auf den Demokratisierungsprozess in der Ukraine:
"Nonetheless, we are concerned at consistent and wide-spread reports of deterioration in respect for fundamental freedoms and democratic principles in Ukraine. Particularly worrying are complaints related to freedom of the media, freedom of assembly and freedom of association."
"On  1  October,  the  Ukrainian  Constitutional  Court  handed  down  a  judgment  which  overturned constitutional changes made after the 2004 Orange Revolution. This decision only increases the need for  Ukraine  to  achieve  wider  constitutional  reform  through  an  inclusive  constitutional  reform process,  and  very  much  takes  up  a  key  theme  of  your  resolution  of  25  February  this  year.  Such a process should seek to establish an effective and lasting constitutional system of checks and balances in accordance with European standards." (Statement vom 20.10.2010
In ihrer Schlussfolgerung stellte Catherine Ashton noch einmal fest, den Bedarf einer breiten Diskussion über die eingeleitete Verfassungsreform. Die von Viktor Janukowitsch eingeleitete und durchgeführte Verfassungsreform irritiert nicht nur die Politiker in und außerhalb der EU, sondern sorgt auch für kontroverse Debatten in der Öffentlichkeit. Einen sehr interessanten Einblick in dieser Debatte liefert der Beitrag von Andreas Umland "Ukraine's Current Constitutional Debate" in Foreign Policy Journal.

Wendet sich die Ukraine von der EU ab?

Fragen wie Is Ukrainian President Yanukovich really a Russian puppet? oder Is Ukraine Moving Back into Russia's Embrace? treten häufiger in Erscheinung. Die Orangerevolution in 2004 war das erste Vorzeichen zur Demokratisierung aus der ehemaligen sowjetischen Republik Ukraine (neben der Rosenrevolution 2003 in Georgien) an die nationalen Hauptstädte der EU-Mitgliedstaaten und Brüssel. EU- und NATO-Beitritt standen ganz oben auf der ukrainischen außenpolitischen Agenda. Sechs Jahre nach der Revolution ist der Wunsch zum NATO-Beitritt kein Thema mehr in der Ukraine. Der EU-Beitritt verlor dennoch nicht an Aktualität. Aber welche Richtung geht die Ukraine nach der Wahl Wiktor Janukowitsch zum Präsidenten? Und ist es notwendig, eine Klassifizierung der ukrainischen außenpolitischen Wahl zwischen Brüssel und Moskau zu treffen?
Die Ukraine zwischen Brüssel und Moskau. Autor: Hr. Hrisoskulov
Eine andere Realität

Die Weltfinanz- und Bankenkrise erfasste das Land voll. Hohe Inflation, Währungsabsturz des Hrywna und Produktionsrückgänge (vor allem in der Stahlindustrie aufgrund geringer Nachfrage aus dem Ausland) hatten zur Folge, dass die ukrainische Wirtschaft in 2009 um 15% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) einbrach und sich die öffentliche Verschuldung im selben Jahr auf 35% des BIP erhöhte. Ein Ausweg war nur möglich, als der Internationale Währungsfonds (IWF) einen 16,5 Milliarden schweren Kredit an die Ukraine gewährte. Die wiederholten Auseinandersetzungen mit Russland um den Gastransit in die Europäische Union verschlechterten zusätzlich das außenpolitische Ansehen der Ukraine als unzuverlässigen Partner.

Außenpolitisch erlitt Russland zu diesem Zeitpunkt eine schwere Niederlage. Am 7. Mai 2009 besiegelten in Prag alle 27 EU-Mitgliedstaaten und die sechs Nachbarstaaten (Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Moldau und die Ukraine die Gründung der Östlichen Partnerschaft.

Die Kritik Russlands liegt nicht in der Substanz und dem Inhalt der Initiative, denn die Partnerschaft unterscheidet sich nur wenig von der Europäischen Nachbarschaftspolitik, die Russland befürwortet, sich aber ihr nicht anschließt. Russland findet sich in einer Kategorie von asymmetrischen Beziehungen, wie sie die Nachbarschaftspolitik schafft, nicht wieder. Diese Politik umfasst ebenso Staaten, die Russland selbst als eigene Einflusssphäre betrachtet. Vielmehr ist die negative Einstellung Russlands auf die Entwicklungen zurückzuführen, die die Östliche Partnerschaft begleiteten.
  • Für den vermeintlich treuen Partner Russlands, Belarus, steht diese Initiative offen. Die EU bietet erstmals Belarus Möglichkeiten zur Zusammenarbeit an und übt politischen Druck auf die Regierung, die Unabhängigkeiten Südossetiens und Abchasiens nicht anzuerkennen.
  • Am 23. März 2009 trafen in Brüssel Vertreter der EU und der Ukraine sowie Vertreter von internationalen Finanzinstitutionen, der EU- Mitgliedstaaten, anderer Staaten und der Gasindustrie zusammen, um Maßnahmen zur Modernisierung des ukrainischen Gastransitsystems zu erörtern.
Dieses Treffen besaß besondere Brisanz angesichts der Gaskrise Anfang 2009 und der aktuellen Wirtschaftskrise. Die Ukraine erklärte ihre Absicht, sich durch eine Mitgliedschaft in der Energiegemeinschaft Südosteuropa stetig in den Europäischen Energiemarkt zu integrieren und auf diesem Wege die Nachhaltigkeit, Verlässlichkeit, Effizienz und Transparenz ihres Gas-Transit-Systems zu verbessern. Die Unterzeichner der Erklärung begrüßten ferner die Bereitschaft der ukrainischen Regierung, ein Programm zur Reform des Gas-Sektors (2010-2011) in Zusammenarbeit mit der EU und internationalen Finanzinstitutionen durchzuführen. Dieser Schritt der Ukraine deutete Russland als eindeutige Bindung des Landes an die EU und Abkehr von der russischen Einflusssphäre.

Jedoch ist das Gelingen der Europäischen Nachbarschaftspolitik oder der Östlichen Partnerschaft ohne Russland zumindest ohne eine punktuelle Einbeziehung in die Initiative nicht denkbar und möglich. In Bereichen der wirtschaftlichen und energiepolitischen Kooperation besitzen viele europäische Unternehmen bereits Erfahrung im Umgang mit Russland. Darauf kann und soll eine vertiefte Zusammenarbeit aufbauen. 

Russland wirbt um die Ukraine

Um der schweren Last der Krise zu entkommen und die gestörten Beziehungen zu Russland zu verbessern, unternahm Wiktor Janukowitsch einige sehr mutige Reformen: Reform der Fiskalpolitik, Unabhängigkeit der Zentralbank, höhere ökonomische Transparenz, neuer Steuernkodex, Reform des Energiesektors.
"The reform programme is hardly a product of Kremlin economic philosophy. So how can one marry this economic liberalism with charges of general authoritarianism and embrace of Russia? Perhaps it is wrong to paint Yanukovych in such stark ideological colours. What we have seen so far rather suggests that he is a pragmatist trying to navigate Ukraine through difficult economic and geopolitical waters." (Fredrik Erixon/ Enter the Slavic Tiger?)
Russland zögerte nicht und unternahm wichtige Schritte zur Annäherung mit der Ukraine:
  • Am 21. April 2010 unterzeichneten Russland und die Ukraine ein Abkommen über die weitere Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte auf der Krim in den nächsten 25 Jahren.
  • In der wirtschaftlichen Zusammenarbeit sind mehrere Abkommen im Energie-, Transport-, Luft-, Raumfahrt- und Atompolitikbereich in Planung
Unmittelbar nach dem Ministertreffen in Brüssel reist Wladimir Putin zum Treffen mit dem Premierminister der Ukraine, um über den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen beider Länder zu verhandeln.

Die Durchführung einer multivektoralen Außenpolitik, in diesem Fall mit Moskau und mit Brüssel, bleibt weiterhin vital für die Durchführung ukrainischer Außenpolitik. Wer am Ende der Gewinner sein wird, lässt sich schwer abschätzen. Russland spricht jedoch nicht von Einhaltung demokratischer Prinzipien. Und die Europäische Union bietet der Ukraine weiterhin einen enormen Binnenmarkt für ukrainische Güter und Freizügigkeit für ihre Bürger in allen 27 EU-Mitgliedsstaaten an. Und auch wenn keiner in der Europäischen Union in diesem Augenblick über einen möglichen EU-Beitritt spekuliert, sind beide Angebote Anreize genug, um über einen neuen außenpolitischen Kurs nachzudenken.        
www.tips-fb.com

11 Kommentare:

EU21Global hat gesagt…

Россия парафировала соглашение с Украиной о транзите нефти (Link: http://korrespondent.net/business/economics/1131059-rossiya-parafirovala-soglashenie-s-ukrainoj-o-tranzite-nefti)

Азаров: Газовый договор с Россией не соответствует украинскому законодательству (Link: http://korrespondent.net/business/economics/1130897-azarov-gazovyj-dogovor-s-rossiej-ne-sootvetstvuet-ukrainskomu-zakonodatelstvu)

EU21Global hat gesagt…

Немецкие эксперты: Сохранение власти для Януковича важнее, чем честные выборы (Link: http://www.dw-world.de/dw/article/0,,6157446,00.html)

EU21Global hat gesagt…

Intensive Momentum in EU-Ukraine Dialogue (Link: http://www.euubc.com/e/index.php?option=com_content&view=article&id=229%3Aintensive-momentum-in-eu-ukraine-dialogue&catid=55%3Aeuubc-news&Itemid=130)

EU21Global hat gesagt…

Kyiv, Moscow agree to expand cooperation in tourism, education (Link: http://www.kyivpost.com/news/nation/detail/87714/)

EU21Global hat gesagt…

Київ і Москва домовились про модернізацію економічних зв'язків (Link: http://www.radiosvoboda.org/content/article/2202869.html)

EU21Global hat gesagt…

Київ і Москва домовились про модернізацію економічних зв'язків (Link: http://www.radiosvoboda.org/content/article/2202869.html)

Counterrevolution in Ukraine (Link: http://www.worldaffairsjournal.org/new/blogs/motyl/Counterrevolution_in_Ukraine)

Ukraine Returns to 1996 Constitution, Strengthening President Yanukovych (Link: http://www.jamestown.org/single/?no_cache=1&tx_ttnews[tt_news]=37037)

Kubilius and Yanukovych discuss Ukraine's euro-integration (http://www.baltic-course.com/eng/baltic_states_cis/?doc=32760)

EU21Global hat gesagt…

Don’t be quick to judge the new Ukraine (Link: http://www.opendemocracy.net/od-russia/alexander-feldman-mp/don%E2%80%99t-be-quick-to-judge-new-ukraine)

EU21Global hat gesagt…

Ukraine's new leader should be judged by his actions (Link: http://euobserver.com/9/31159)

EU21Global hat gesagt…

Упадок украинской демократии, восход Всеукраинского объединения «Свобода» и подрыв международного имиджа Киева

Link: http://inosmi.ru/ukraine/20101101/163971489.html

EU21Global hat gesagt…

Франция хочет от Украины серьезности (Link: http://www.pravda.com.ua/rus/news/2010/11/4/5544623/)

EU21Global hat gesagt…

Wer stoppt Tjahnybok?

Der Erfolg der rechten Partei „Swoboda“ (Freiheit) hat Interesse geweckt und brachte nicht nur die ukrainische Öffentlichkeit in Aufruhr. Das Ergebnis der Partei bei den Regionalwahlen gibt ernsthaften Anlass, um von ihrem Durchmarsch in die Werchowna Rada nach den nächsten Parlamentswahlen auszugehen. Und das käme bereits einer völlig anderen politischen Kräfteverteilung auf nationaler Ebene gleich… Darüber wurde nicht nur in der Ukraine nachgedacht: Seine Sicht der Lage hat dieser Tage der deutsche Politikwissenschaftler Andreas Umland dargelegt. Im Kern können seine Aussagen auf einen einfachen Gedanken zurückgeführt werden: Die Existenz einer solchen ultranationalistischen Kraft im zukünftigen Parlament kann dem internationalen Image der Ukraine schaden.
Ist das wirklich so? Und warum konnte „Swoboda“ im Westen und im Zentrum des Landes derart überzeugende Ergebnisse aufweisen? Dazu befragte Experten von From-UA versuchen Klarheit zu verschaffen.

Weiter lesen: http://www.ukraine-nachrichten.de/2854/wer-stoppt-tjahnybok

Kommentar veröffentlichen

Reader