Die strategische Position des Landes beeinflusst die kontinuierliche Integration in westliche (EU und NATO) Strukturen. Im März 2004 trat Bulgarien der NATO bei und seit Januar 2007 ist das Land ein vollwertiges Mitglied der Europäischen Union. Die Vollmitgliedschaft verpflichtet nicht nur die Bürger des Landes sondern auch seine Politiker, sich den Herausforderungen gemeinsamer Politiken zu stellen.
Eine Frage ist von besonderer Bedeutung für die bulgarische Außenpolitik:
Wo sollten die Prioritäten einer effizienten bulgarischen Außenpolitik gesetzt werden, die sich in einer multipolaren Welt einbringen?
Allein die geographische Lage des Landes gibt ein Teil dieser Antwort. Bulgarien grenzt unmittelbar an der Schwarzmeerregion, die der jetzige bulgarische Außenminister
Nikolay Mladenov als die einzige
"Nichtregion" bezeichnet. Am Schwarzen Meer grenzen zwei große Staaten, nämlich Russland und die Türkei, EU- und NATO-Mitgliedstaaten wie auch Beitrittskandidaten und Staaten, die in der Europäischen Nachbarschaftspolitik/ Östlichen Partnerschaft integriert sind. Internationale Organisationen wie die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit im Schwarzmeerraum (
BSEC) und regionale Initiativen wie
Black Sea Naval Cooperation Task Group (türkische Initiative),
Black Sea Forum for Partnership and Dialogue (rumänische Initiative) und
Southeast European Cooperation Process (bulgarische Initiative)
dominieren die Region und sind gleichzeitig Konkurrenzinitiativen. Diese Konstellation hindert das Erreichen eines richtigen Integrationsgrades in der Region. Dazu kommen auch schwelende Konflikte in Transnistrien, Abchasien und Südossetien und Nagorno-Karabach und ungelöste Fragen wie der Status Kosovo und der Namensstreit um FYRO Mazedonien.
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Bulgarien in einer multipolaren Welt: der Schwarzmeerraum. Hr. Hrisoskulov. All Rights reserved! |
Bulgarische Außenpolitik ist Politik, die sich im Schwarzmeerraum definiert. Daraus ergeben sich folgende Prioritäten für die bulgarische Außenpolitik im Schwarzmeerraum:
- Normalisierung der Beziehungen zu den Staaten des westlichen Balkans, vor allem zu Mazedonien und Serbien
Viele Probleme hindern Bulgarien und seine Nachbarstaaten im Westen daran, einen pro-europäischen Kurs einzuschlagen. Bulgarien hatte die Unabhängigkeit Kosovo anerkannt. Diesen Schritt urteilten die Politiker in Serbien als unangebracht und destabilisierend für die gesamte Region. Viele ungelöste Konflikte schwelen auch in den Beziehungen zu Mazedonien: Wie sollte man mit der Sprache, Tradition und Geschichte der ehemaligen jugoslawischen Republik umgehen?
In den Beziehungen zu Serbien wählte
Bulgarien vor kurzem einen gemeinsamen Weg mit Slowenien und Ungarn und forderte die serbischen und kosovarischen Regierungen zum gemeinsamen Dialog auf. Die Frage um Mazedonien sollte alleine gelöst werden: In diesem Jahr schlug die bulgarische Regierung einen
Nachbarschaftsvertrag der mazedonischen Regierung vor, der die wirtschaftliche, energetische und infrastrukturelle Kooperation vorantreiben sollte und die Vorurteile aus der Vergangenheit abbauen sollte.
Es ist ein langer Weg zur völligen Normalisierung der Beziehungen zu den Ländern des westlichen Balkans, der sich auf Vertrauen und gemeinsame Werte stützen sollte. Das Vorantreiben der Liberalisierung der Visaregeln für den westlichen Balkan seitens der bulgarischen Regierung ist ein bedeutender Schritt in die richtige (EU-)Richtung.
- Ausbau der Beziehungen zu regionalen Mächten: die Türkei
Dies ist vielleicht die brisanteste Frage bulgarischer Außenpolitik. Denn die Beziehungen zu der Türkei reduzieren viele in Bulgarien auf die Frage nach einem EU-Beitritt des Landes. Dafür unterstützt die heutige Regierung den Wunsch der Türkei, der EU beizutreten, ohne diese Frage in einem
Referendum im eigenen Land zu stellen. Zusätzliche Spannungen sorgen für einen eher kühlen Umgang mit der Türkei: die Frage der in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts vertriebenen türkisch-stämmigen Bulgaren in die Türkei und der während des Ersten Weltkrieges vertriebenen Bulgaren aus der Türkei und ihre in der Türkei verbliebenen Immobilien.
Daher hat Bulgarien keine klare Außenpolitik gegenüber der Türkei: jahrzehntelange Vorurteile und Ängste dominieren nicht nur das politische sondern auch das gesellschaftliche Leben in Bulgarien. Sogar heute, als die Türkei ihre außenpolitischen Interessen grundsätzlich im Schwarzmeerraum formuliert, antwortet Bulgarien eher mit unklaren Angeboten.
Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die bulgarische Regierung die Interessen türkischer Außenpolitik im Schwarzmeerraum (
Energiepolitik, Beziehungen zu Armenien und Aserbaidschan in Fragen zu Nagorno-Karabach) klarer urteilen und sich danach richten sollte.
- Unterstützung, zusammen mit Rumänien, regionaler EU-Initiativen im Schwarzmeerraum: Black Sea Synergy
Beide Länder, Bulgarien und Rumänien, haben drei Jahre nach dem Beitritt zur Europäischen Union weiterhin gemeinsame Ziele: der Beitritt in den Schengen- und Euro-Raum und die Stabilisierung der Region um das Schwarze Meer. Die Realität ist jedoch eine andere: Beide Länder sehen sich als Konkurrenten in einer Region, in denen mehrere Mächte um Einfluss ringen. Und die gemeinsame Grenze, die Donau, trennt und verbindet nicht die beiden Völker. Es ist noch nicht klar, wann eine
zweite Brücke über die fast 500 km lange Grenze gebaut wird.
Mit Blick auf das vielfältige Potenzial des Schwarzmeerraums ergriff die deutsche Ratspräsidentschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2007 die Initiative und entwickelte gemeinsam mit der EU-Kommission und weiteren EU-Partnern (Bulgarien, Rumänien und Griechenland) das Konzept der
"Schwarzmeersynergie". Die Hauptidee war, dass die Schwarzmeerregion gerade aufgrund der Vielfalt der bestehenden Initiativen über ein Synergiepotenzial verfüge, das ausgelotet werden solle. Bulgarien präsentierte seine Visionen über das Konzept in dem Papier
"The Black Sea Region: State of Play and Future Perspectives" und verteidigte die Idee einer multipolaren Lösung der Probleme in der Region durch die Einbeziehung Russlands und der Türkei und aller Organisationen und Initiativen.
Beide Länder sehen die Schwarzmeersynergie als ihr eigenes "Baby" an, und urteilten die Gründung der Östlichen Partnerschaft als reale Bedrohung für die Unterminierung der Initiative.
- Umgang mit Großmächten: Russland und die Energiesicherheit
Der Umgang mit Russland ist vielleicht der komplizierteste Aspekt bulgarischer Außenpolitik. In den Beziehungen zu Russland geht es an erster Stelle um die
Sicherung der Energielieferungen nach Bulgarien und die gesamte Europäische Union. Daher ist eine pragmatische Lösung eher vorzuziehen, als sich zwischen zwei konkurrierenden Energieprojekten zu stellen:
South Stream und
Nabucco.
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NABUCCO und South Stream. Hr. Hrisoskulov. All Rights reserved! |
Eine gemeinsame Linie mit der Europäischen Union sollte gefunden werden, denn, um ehrlich zu sein, ist diese Frage eine Nummer zu groß für die bulgarische Energieaußenpolitik.
An zweiter Stelle geht es um die
Einbindung Russlands als GLEICHWERTIGER Partner in die NATO. Eine effiziente europäische Sicherheitsstruktur macht nur dann Sinn, wenn Russland an den gleichen Strang wie alle anderen EU-Staaten zieht. Und Bulgarien könnte dazu beitragen, wenn die jahrelange Erfahrung im Umgang mit Russland in die Europäische Union hineinfließt.
In einer Welt, in der sich die Großmächte um Wechselkurse und Strategien in den Umgang mit China streiten, in der
EU-Mitgliedstaaten ihre Außenpolitik außerhalb EUropa definieren und die Europäischen Union vor der größten Herausforderung gestellt ist, sich in einer multipolaren Welt neu zu orientieren, bleibt kleinen Staaten wie Bulgarien wenig Spielraum für eine eigenständige Außenpolitik. Dennoch kann und soll Bulgarien eine konsequente Politik in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft führen und sie mit eigenem regionalen Inhalt füllen.